Welche Auswirkungen hat COVID-19 auf die Bildung in der ganzen Welt? Myriam Gallio, stellvertretende Generalsekretärin von Enfants du Monde, teilt ihren Standpunkt und spricht über die geänderte Herangehensweise von unserer Hilfsorganisation.

Wie sieht die Bildungssituation in unseren Einsatzländern aktuell aus?

Enfants du Monde - Myriam GallioMyriam Gallio, stellvertretende GeneralsekretärinCOVID-19 hat zu einer globalen Bildungskrise geführt, welche die Länder mit bereits geschwächten Bildungssystemen noch härter getroffen hat. In unseren Einsatzländern Burkina Faso, Guatemala, Niger und dem Tschad schützt das Bildungsangebot die Kinder auch vor Missbrauch wie Zwangsarbeit oder Kinderehen und bietet ihnen eine echte Zukunftsperspektive. Die Schliessung der Schulen beeinträchtigt nicht nur den Lernprozess, sondern auch das Wohlbefinden und die Sicherheit der Kinder sowie den Zugang zu grundlegenden Angeboten wie Schulkantinen und Impfungen. Diese Krise verschärft auch die Ungleichheiten, da besonders benachteiligte Menschen weniger Möglichkeiten haben, ihre Ausbildung fortzusetzen, insbesondere aufgrund der digitalen Kluft zwischen den Bevölkerungsschichten.

Die von den Regierungen vorgeschlagenen Lösungen sind oftmals nicht an den jeweiligen Kontext angepasst, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen:

Im Niger sind Angebote für Fernunterricht unter Einsatz von Internet oder Fernsehen bei Weitem nicht für alle Menschen zugänglich.

Im Tschad hat das Ministerium ein Unterrichtsprogramm per Radio und Fernsehen für die Abschlussjahrgänge eingerichtet, obwohl viele Schülerinnen und Schüler auf dem Land weder einen Fernseher noch ein Radio besitzen.

Ganz anders sieht es in der Schweiz aus. Hier standen meinem neunjährigen Sohn in der Zeit des Lockdowns mehrere Lernkanäle für den Fernunterricht zur Verfügung – WhatsApp-Gruppen, per Post verschickte Hausaufgaben, Internet-Plattformen, Betreuung via Zoom. All das ist in Afrika einfach unvorstellbar.
Allgemein gesagt verfügen nur wenige Lehrkräfte in Entwicklungsländern über angemessene Bedingungen zur Durchführung von Fernunterricht.

Das Lernen zu Hause stellt ebenfalls eine enorme Herausforderung dar. Die Eltern können häufig weder Lesen noch Schreiben und sind somit nicht in der Lage, ihre Kinder entsprechend zu unterstützen. Von Kindern in Afrika wird erwartet, dass sie ihre Tage zwischen Hausarbeit und Schulaufgaben aufteilen. Deshalb ist ihre Situation eine ganz andere, wenn sie in die Schule gehen können – dort finden sie einen geschützten Ort, der nur für Bildung und soziale Kontakte vorgesehen ist.

Welches sind die Lösungen, die von Enfants du Monde in die Wege geleitet werden?

Während der Schliessung der Schulen haben wir uns darum bemüht, die Verbindung zwischen Schule und Kindern so gut wie möglich aufrechtzuerhalten, um Schulabbrüche weitgehend zu vermeiden. In Burkina Faso haben unsere Partner beispielsweise kleine Studiengruppen organisiert, um den Kindern zu ermöglichen, in einem von den Lehrkräften betreuten Umfeld ihre Hausaufgaben zu machen.

Eqipement radio à Cobán Alta Verapaz 2Rundfunkstudio in Alta Verapaz, GuatemalaIn Guatemala, wo die Schulen seit März geschlossen sind, unterstützen wir das Bildungsministerium bei der Gestaltung von zweisprachigen Radiosendungen in Spanisch und in den Maya-Sprachen, um einen Zugang zur indigenen Bevölkerung sicherzustellen, die weitgehend über Radiogeräte verfügt. Ausserdem wurden Lernleitfäden entwickelt, um das selbständige Arbeiten zu Hause zu erleichtern.

Aber trotz dieser Strategien sind vor allem im Niger Schulabbrüche zu verzeichnen, wo eines von zehn Kindern, das eine der von uns unterstützten Schulen besucht, nach ihrer Wiedereröffnung nicht wieder im Unterricht erschienen ist. Die Wiedereröffnung der Schulen fiel mit der Erntezeit zusammen, in der die Familien jede helfende Hand benötigen.

Aktuell setzt sich Enfants du Monde umfassend für die Einhaltung der Abstandsregeln ein, indem die Schulen mit Handwaschstationen, Seife, Masken usw. ausgestattet und die Lehrkräfte für die Bedeutung der Einhaltung dieser Abstandsregeln geschult werden, um die Pandemie einzudämmen. Gleichzeitig geben die Lehrkräfte ihr Wissen an ihre Schülerinnen und Schüler weiter.

In pädagogischer Hinsicht haben wir dazu beigetragen, im Sommer Förderprogramme anzubieten, damit die Kinder den versäumten Unterrichtsstoff nachholen können.

Im Niger wurden die Schulen am 1. Juni wieder geöffnet und sind bis Mitte Juli offen geblieben, sodass die Schülerinnen und Schüler ihr Schuljahr mit den entsprechenden Prüfungen abschliessen konnten. Im Tschad wurde während des Schuljahrs 2019/20 trotz zahlreicher Bemühungen lediglich 26 Wochen lang unterrichtet (statt normalerweise 36). Diese Situation wird sich zwangsläufig auf die Lernqualität auswirken.

Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?

Diese Krise hat Innovationen im Bildungssektor auf den Weg gebracht. Wir haben innovative Ansätze entwickelt, beispielsweise durch den Einsatz von Radiogeräten und häuslichen Selbstlernprogrammen. Modere Technologien sind kein Allheilmittel und es gibt nicht die eine, einzige Lösung. Wir brauchen viele verschiedene, flexible Lösungen, die sich an den jeweiligen Kontext anpassen. Diese Zeit der Schulschliessungen hat uns ausserdem vor Augen geführt, welch wichtige Rolle die Schulen in der Gesellschaft spielen, und zwar nicht nur als Bildungseinrichtungen, sondern auch als Orte der Förderung von Gesundheit, sozialem Zusammenhalt und dem Schutz der Kindheit.


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