Dr. Philip Jaffé ist Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes. Der Doktor der Psychologie und Professor an der Universität Genf beteiligt sich an Aktionen von Enfants du Monde für die Kinderrechte.
Warum haben Sie angefangen, sich für den Schutz von Kindern einzusetzen?
Philip Jaffé: Nachdem meiner Rückkehr aus Massachusetts, wo ich Erfahrungen in einer psychiatrischen Klinik in einem Hochsicherheitsgefängnis gesammelt hatte, waren meine Vorgesetzten in Genf nicht besonders erfreut über Kurse zum Thema extreme Gewalt und Psychopathie. Damals waren TV-Serien, in denen FBI-Profiler und Gerichtsmedizinier einen blutrünstigen Kriminellen nach dem anderen stellen, noch völlig unbekannt. Ich hatte das grosse Glück, dass man mir die Lehre der Rechtspsychologie bei Kindern übertrug. So habe ich mich dem Studium von Kindermisshandlungen, insbesondere sexueller Art, widmen können. Gleichzeitig wurde Anfang der 1990er Jahre die UN-Konvention über die Rechte des Kindes ratifiziert und so führte eins zum anderen…
Wie können die Empfehlungen des Ausschusses die nationale Politik im Bereich Kinderrechte beeinflussen?
Ph.J: Das hängt sicher vom jeweiligen Land und seiner Politik ab. So gilt die Schweiz in diesem Bereich als Musterschüler. Wir haben im Vergleich zu den meisten Ländern – selbst in unserer unmittelbaren Nachbarschaft – die Mittel und eine äusserst effiziente Administration. Allgemein lässt sich sagen, dass die meisten Länder die Empfehlungen ernst nehmen und nicht gerne vor den Ausschuss treten, ohne Fortschritte aufzuweisen. Aber einige Länder gehen mit dem Thema nicht besonders gewissenhaft um und andere haben nicht die nötigen Ressourcen, um in entsprechende Programme zu investieren. Sie müssen wissen, dass einer der wichtigsten Hebel für positiven Wandel die Rolle der Zivilgesellschaft und der nationalen bzw. internationalen NGOs ist. Allgemein lässt sich sagen, dass die Länder, die ihre eigene Zivilgesellschaft tolerieren, unterstützen und fördern, sich deutlich mehr und besser für ihre Kinder einsetzen.
Können Sie uns eine Empfehlung für die Schweiz nennen und wie das Land diese umgesetzt hat?
Ph. J: Zunächst einmal kann man sagen, dass Veränderungen Zeit brauchen und dem Schweizerischen Prinzip der Konsultation zwischen allen administrativen und politischen Akteuren auf kantonaler und föderaler Ebene unterliegen. Ein gutes Beispiel betrifft das Recht von Kindern, denen die Freiheit entzogen wurde, von Erwachsenen getrennt zu werden (Art. 37). Bei der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention 1997 hat die Schweiz einen Vorbehalt gegen Absatz c) dieses Artikels ausgesprochen, da sie eine solche Trennung nicht in allen Haftanstalten in allen Kantonen gewährleisten konnte. Heute ist diese Trennung im Allgemeinen gegeben, aber bevor der Vorbehalt formal zurückgenommen und positiv auf die mehrfach ausgesprochene Empfehlung des Ausschusses reagiert wird, möchte die Schweiz nochmals eine Bestandsaufnahme machen. So sind wir zwar fast am Ziel, aber es braucht noch etwas Geduld. In einem ganz anderen Bereich ist die Schweiz eher proaktiv, und zwar wenn es darum geht, Kindern zuzuhören und sie bei Fragen, die sie direkt und indirekt betreffen, aktiv zu beteiligen. Dies ist dann ein eher ermutigendes Beispiel bei der Umsetzung der Empfehlungen.
Was sind Ihrer Meinung nach heute noch die grössten Herausforderungen im Bereich Kinderrechte?
Ph. J: Das kommt auf den Fokus an. In bestimmten Regionen ist der Einsatz für das Überleben von Kindern immer noch am wichtigsten. Es geht um Müttergesundheit, ausreichende Ernährung, Impfungen usw. Aber überall auf der Welt bleibt Gewalt gegen Kinder in unterschiedlichsten Ausprägungen ein grosses Problem. Ausserdem muss der Kampf gegen Diskriminierung von Mädchen ein zentrales Thema bleiben. Alle Vertragsstaaten müssen ihre administrativen und politischen Strukturen mehr oder minder reformieren, eine Kultur der Kinderrechte schaffen und die echte Beteiligung von Kindern in der Gesellschaft gutheissen. Es fehlt nicht an Herausforderungen, ganz zu schweigen von denen, bei denen uns die Kinder geradezu beschwören, Massnahmen zu ergreifen, so wie bei der Klimakrise und der Bewahrung unserer Umwelt.